DIE NAKBA

1947-1948

Jaramana arab training Camp, Damascus, Syria

Al-Nakba ist das arabische Wort für „die Katastrophe“ und bezeichnet die gewaltsame Vertreibung und Enteignung des palästinensischen Volks, sowie die Zerstörung seiner kulturellen Identität.

Meist wird der Begriff genutzt um die geplante Kampagne der ethnischen Säuberung Palästinas in der Zeit von Ende 1947 bis Ende 1948 zu beschreiben, in der jüdische Siedler*innen massenhaft Palästinenser*innen aus ihren Dörfern und Städten vertrieben sowie Dutzende Massaker an Palästinenser*innen verübten.

In den Jahren um die Staatsgründung Israels wurden so mindestens 750.000 Palästinenser*innen – etwa die Hälfte der gesamten Bevölkerung – vertrieben. Darüber hinaus bezeichnet der Begriff Nakba auch die bis heute andauernde ethnische Säuberung der Palästinenser*innen.

Historischer Hintergrund

Das britische Mandat

Arab protest delegations, demonstrations and strikes against British policy in Palestine (subsequent to the foregoing disturbances [1929 riots]). An Arab "protest gathering" in session. In the Rawdat el Maaref hall. Walid Khalidi, 1984, Before the diaspora, p 105 identify the front row (left to right) as Awni Abd al-Hadi, Haj Amin al-Husseini, Musa Kazim Pasha al-Husseini, Raghib al-Nashashibi and Alfred Roch.
A picture of Barclay's Bank, on VE Day, in Jerusalem, Palestine. Victory in Europe Day (V-E Day or VE Day) was May 7 and May 8, 1945, the dates when the World War II Allies formally accepted the unconditional surrender of the armed forces of Nazi Germany and the end of Adolf Hitler's Third Reich.

Die Nakba geschah etwa zeitgleich mit dem Machtverlust des Britischen Weltreichs in Palästina, als klar war, dass dieses das Land verlassen würde. Das britische Weltreich war seit den 1910er Jahren stark in Palästina und den weiteren Nahen Osten involviert. Im Zuge des Ersten Weltkriegs besetzten die Briten das Gebiet zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer, das historische Palästina. 1917 erklärte die Britische Regierung in der Balfour Deklaration der zionistischen Bewegung ihre Unterstützung für „die Errichtung eines jüdischen Heimatlandes“ in Palästina. 1922 bekamen vom Völkerbund die offizielle Verantwortung über das Gebiet – das sogenannte Mandat.

The arrival at the 1921 Cairo Conference of Sir Herbert Samuel, H.B.M. high commissioner, etc. Col. Lawrence, Emir Abdullah, Air Marshal Sir Geoffrey Salmond and Sir Wyndham Deedes.

In den folgenden Jahrzehnten unterstützten die Briten immer wieder Zionist*innen zum Nachteil der Palästinenser*innen. So wurden zum Beispiel zionistische Streitkräfte unter anderem von den Briten bewaffnet und trainiert.

Ende der 1940er war klar, dass die Briten aufgrund verschiedener Faktoren Palästina nicht mehr als Mandatsgebiet halten konnten. Im Februar 1947 beauftragten sie die neu gegründeten Vereinten Nationen damit, eine Lösung für die Zukunft des Landes zu finden. Im November 1947 beschlossen diese schließlich die Resolution 181, welche vorsah, auf 55% des historischen Gebiets Palästinas einen jüdischen Staat zu errichten. Da bis zu diesem Zeitpunkt nur etwa 7% des Landes im Besitz der zionistischen Bewegung war, hätte dies fast eine Verzehnfachung dargestellt.

Khalil Raads Linse: Szenen aus dem Palästina vor der Nakba

Erfahre mehr über diese Fotos vom palästinensischen Fotografen Khalil Raad.

Beginn der ethnischen Säuberung

Die Palästinenser*innen und ihre Anführer lehnten die Resolution entschieden ab. Es folgten gewaltsame Aufstände der Palästinenser*innen und Angriffe auf palästinensische Dörfer durch die Zionist*innen. Mit diesen Angriffen begann die groß angelegte Enteignung und Vertreibung der Palästinenser*innen. Bis Ende 1947, innerhalb eines Monats, waren bereits fast 75.000 von ihnen vertrieben worden.

Obwohl sich Anfang 1948 viele Freiwillige aus anderen arabischen Ländern den Kämpfen auf Seite der Palästinenser*innen anschlossen, hatten die Zionist*innen von Anfang an die militärische Oberhand: sie waren besser koordiniert, vorbereitet, ausgebildet und ausgestattet. Im Mai 1948 hatten die Zionist*innen bereits 50.000 bewaffnete, großteils von den Briten ausgebildete Kämpfer*innen, während es auf palästinensischer Seite nur etwa 10.000 unkoordinierte und schlecht ausgestattete Kämpfer waren.

Im März 1948 beschloss die zionistische Führungsriege um David Ben-Gurion „Plan Dalet“, in welchem die militärische Strategie für die offensive Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung festgelegt war. Zu den beschlossenen Strategien gehörten unter anderem die „Zerstörung von Dörfern (Brandlegung, Sprengung und Verminung der Trümmer)“ sowie genaue Richtlinien, nach denen Dörfer „geräumt“ werden sollten: „Einkreisung des Dorfes und Durchsuchung innerhalb des Dorfes. Im Falle von Widerstand müssen die bewaffneten Kräfte vernichtet und die Bevölkerung außerhalb der Staatsgrenzen vertrieben werden“.

Der Plan wurde schnell in die Tat umgesetzt. Die Vertreibung der Palästinenser*innen nahm ab April 1948 drastisch zu und wurde systematischer. Bereits im gleichen Monat verübten die zionistischen Truppen einige der schlimmsten Massaker der Nakba. Der Historiker Ilan Pappé beschreibt es so: „[Im April fand] der Übergang von sporadischen Angriffen und Gegenangriffen auf die palästinensische Zivilbevölkerung zur systematischen Megaoperation der ethnischen Säuberung [statt].“ (Ilan Pappé, The Ethnic Cleansing of Palestine, S. 86)

Massaker & Vertreibung

Eines der ersten dieser Massaker war jenes von Deir Yassin. Am 9. April 1948 griffen zionistische Paramilitärs das Dorf in der Nähe von Jerusalem an. Sie massakrierten über 100 Menschen, darunter 75 Frauen, Kinder und Senior*innen. Viele von ihnen führten die Zionist*innen zunächst in den Straßen Jerusalems vor, bevor sie sie erschossen.

 

Fahim Zaydan, ein damals 12-jähriger Überlebender, berichtet:

„Sie holten uns einen nach dem anderen raus, erschossen einen alten Mann und als eine seiner Töchter weinte, wurde auch sie erschossen. Dann riefen sie meinen Bruder Muhammad und erschossen ihn vor unseren Augen. Und als meine Mutter schrie und sich über ihn beugte – sie trug meine kleine Schwester Hudra in den Armen und stillte sie noch – erschossen sie auch sie.“

Das Massaker von Deir Yassin sprach sich schnell herum und viele Menschen flohen aus Angst, ihr Dorf könnte das nächste sein. Und tatsächlich begingen die zionistischen Paramilitärs und später die israelische Armee in den kommenden Monaten mehrere Dutzend Massaker in palästinensischen Dörfern und Städten, brachten dabei etwa 15.000 Palästinenser*innen um und vergewaltigten viele junge Mädchen.

Zu den größten Massakern zählten neben Deir Yassin unter anderem jene in Baldat Al-Sheikh, in Sa’sa’, in Saliha, in Lydda, in Dawayima, in Abu Shusha und viele weitere, bei denen jeweils Dutzende bis hunderte Palästinenser*innen ermordet wurden.

Durch die Massaker, die gewaltsame Vertreibung und weil Menschen aus Angst vor der Gewalt flohen, waren Anfang Mai 1948 bereits 200 palästinensische Dörfer und Stadtteile entvölkert und 250.000 bis 350.000 Palästinenser*innen zu Geflüchteten geworden. (Siehe auch Norman G. Finkelstein, Image and Reality of the Israel-Palestine Conflict. S. 62)

Staatsgründung Israels und der erste Arabisch-Israelische Krieg

Am 14. Mai 1948 erklärte David Ben-Gurion die Gründung des Staates Israel – ohne dabei die genauen Grenzen zu definieren. Am nächsten Tag zogen die Briten ihre letzten noch verbleibenden Soldaten aus Palästina ab, während Ägypten, Jordanien, Syrien und der Irak einmarschierten und der erste arabisch-israelische Krieg ausbrach. Allerdings war das Einschreiten der arabischen Staaten sehr halbherzig und unkoordiniert und ihre vereinten Truppen waren denen Israels von Anfang an unterlegen. Sie konnten der groß angelegten Vertreibung der Palästinenser*innen also kaum etwas entgegensetzen.

Bis September 1948 gingen die gezielten Angriffe der israelischen Armee auf palästinensische Dörfer und Städte weiter. Der Krieg dauerte noch bis zum Juli 1949. Am Ende des Kriegs hatte Israel 78% des historischen Gebiets Palästinas unter seine Kontrolle gebracht. Bis 1950 waren mindestens 750.000 Palästinenser*innen zu Geflüchteten geworden, von denen etwa die Hälfte unter dem direkten Einfluss von gewaltsamen Angriffen die Flucht ergriffen hatten. Israel verwehrt ihnen bis heute ihr völkerrechtlich verbrieftes Recht auf Rückkehr an ihre Heimatorte.

Noch heute gedenken Menschen weltweit jedes Jahr am 15. Mai der Nakba.

 

Die Nakba dauert bis heute an

Israel hat nach 1950 und bis heute nie aufgehört, Palästinenser*innen wahlweise zu vertreiben, zu töten, zu enteignen, zu entrechten, oder ihre Lebensgrundlagen, kulturelle Identität und Geschichte zu zerstören. Auch heute noch sind Palästinenser*innen regelmäßig israelischem Siedlungsbau und Siedlergewalt, Landbeschlagnahmungen, Hauszerstörungen, diskriminierenden Gesetzen, willkürlichen Verhaftungen und Inhaftierungen, militärischen Checkpoints und tödlicher militärischer Gewalt ausgesetzt. Die ethnische Säuberung Palästinas dauert weiter an. Um zu verstehen, was die Beweggründe Israels bei all dem sind, ist es hilfreich, Israel als siedlerkoloniales Projekt zu verstehen.